Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, der frühe Faust, der junge, wißbegierige Faust in einem alten Hörsaal der Universität. Das paßt so gut, die quälenden Monologe über die Endlichkeit des Wissens, die verbissenen Diskussionen über Sinn und Dasein - wo anders als vor oder hinter dem Katheder müssen sie geführt werden, wann anders als in der Studentenzeit werden sie so existentiell geführt.
Also lamentiert Dr. Faust sein 'Habe nun ach...' in einer schwachen Minute vor den Studenten, die ihm zum Geburtstag ein Ständchen bringen. Mephisto dagegen läßt sich als ehrbarer Professor hofieren und verführt seine gelehrigen Studiosi hinter vorgehaltener Hand mit zweideutigen, schlüpfrigen Angeboten. Während Gretchen, als Putzfrau, die Lehrformeln - oder Leerformeln? - von der Tafel wischt. (...)
Schöne Bilder entstehen im Hörsaalrund, und wenn Gretchen wie in Trance ein spanisches Schlaflied für ihr totes Kind singt, ist 'Faust' nicht mehr nur ein deutsches Drama, sondern ganz einfach ein menschliches Drama.
Reutlinger Generalanzeiger